Trauma — seelische Verletzung oder unheilbare Erkrankung?

Trauma — seelische Verletzung oder unheilbare Erkrankung?

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Ein Trauma ist keine medizinische Störung im klassischen Sinne, sondern eine tiefe Erfahrung, ‚ge-stört‘ oder ‚ver-stört‘ zu sein. Es fordert ein Heilungsverfahren, bei dem der Arzt, ähnlich wie eine Hebamme, dem Patienten unterstützt.…“ (Peter A. Levine)


Sucht man im ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der WHO (Weltgesundheitsorganisation) nach einer möglichen Klassifizierung für das, was gemeinhin als Trauma bezeichnet wird, so wird man unter F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) schnell fündig. Dort heißt es:

„Posttraumatische Belastungsstörung
Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. […] Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“[1]

Obwohl die PTBS in dieser Charakterisierung i.d.R. als heilbar angesehen wird, kann leicht in der öffentlichen Wahrnehmung (diese schließt Ärzte, Therapeuten und Betroffene mit ein) der Eindruck entstehen, dass PTBS eine bleibende psychische Erkrankung ist, deren Symptome lediglich gelindert werden können.
Ein solche Betrachtungsweise — ein solches Vorurteil — erschwert eine nachhaltige Heilung und Transformation der traumatischen Verletzung. Traumata sollten ihrem jeweiligen Sosein entsprechend nicht als Krankheit oder unheilbare Krankheit angesehen werden, sonder als eine menschliche Leiderfahrung. Es gibt hier auf Erden kein menschliches Leben ohne Leid.[2] Das gilt sowohl für die Klienten, als auch für diejenigen, die die Heilung unterstützen möchten. Der Arzt oder Therapeut kann ebensowenig heilen, wie der Bauer seine Saat wachsen lassen kann. Wird diese urmenschliche Hilflosigkeit nicht anerkannt, drohen gut gemeinte therapeutische Ansätze fehlzugreifen.
In diesem Punkt ist Peter Levine zuzustimmen. Er schreibt:

Ein Trauma ist keine medizinische Störung im klassischen Sinne, sondern eine tiefe Erfahrung, ‚ge-stört‘ oder ‚ver-stört‘ zu sein. Es fordert ein Heilungsverfahren, bei dem der Arzt, ähnlich wie eine Hebamme, dem Patienten unterstützt, anleitet und mit ihm zusammen arbeitet, damit dieser wiederhergestellt wird. Ein Arzt, der aus einer unantastbaren Position als ‚gesunder Heiler‘ besteht, bleibt getrennt vom Patienten und wehrt sich gegen die externe extreme Hilflosigkeit, die wie ein Phantom in unser aller und damit auch in seinem Leben lauert. Abgeschnitten von den eigenen Gefühlen, kann sich solch ein Arzt mit den leidenden Menschen nicht zusammen tun. Hier fehlt der entscheidende Faktor der Zusammenarbeit beim Annehmen, Verarbeiten und Integrieren der entsetzlichen Empfindungen, Bilder und Emotionen des Patienten. Die leitende Person bleibt gänzlich allein mit dem Schrecken und dem Entsetzen, die sie überwältigen und ihre Fähigkeiten zur Selbstreflexion und Wachstum ausgeschaltet haben.“[3]

Die Ganas-Methode zur Heilung von Traumata ist empirisch erprobt und funktioniert, da die Klienten ihrem Trauma durch die Selbsterzählung Sinn geben.
Das geht aber nicht ohne einen ausgeprägten Siegeswillen. Die Klienten sollte ihn in ihrer autobiographischen Erzählung ausdrücken, indem sie eine mögliche traumatische Heilung nicht kompromittieren, sondern narrativ unterstützen. Es geht um die „verinnerlichten Glaubenssätze“, durch die die traumatische Erinnerung forciert wird und durch die die bekannten Symptome aufrechterhalten werden.
Ein Gewaltverbrechen ist schrecklich und eine Tragödie - doch dadurch ist der Klient oder die Klientin nicht lebenslang bestraft und sein oder ihr Leben ist nicht für immer zerstört. Vielmehr hat die betroffene Person die Kraft und dies haben sie auch schon durch das Erzählen ihrer Geschichte bewiesen, via Opfer und Liebe eine Transformation zu vollziehen. Somit kann durch die neue narrative Identität die Verwandlung des Traumas in Kraft noch wirksamer und nachhaltiger werden. Auch können die Betroffenen anderen Menschen durch das Erzählen ihrer Geschichte helfen mit ihrer oft traumatischen Vergangenheit selbst besser fertig zu werden.
Dies ist die dritte Etappe der Ganas-Methode — je mehr die betroffenen Personen ihren Fokus auf ihr positives Wachstum legen, trotz und durch all das Schreckliche, das sie erlebt haben, desto mehr werden die bekannten Symptome verschwinden. Auch können sie so um so besser und mehr durch das Weitererzählen ihrer Geschichte anderen helfen.

Die ist eine wirksame uralte Menschheitsweisheit, die schon die Griechen durch das Aufführen ihrer Tragödien (vgl. z.B. die Tragödie König Ödipus) heilsam für das Publikum nutzbar gemacht haben. Es kommt beim Publikum schließlich zur befreienden Katharsis…
Die betroffenen Personen sollten versuchen, die viele vermutlich noch verbleibenden pessimistischen „verinnerlichten Glaubenssätze“ durch positive zu ersetzen und diese in ihren Erzählungen Ausdruck verleihen. Dadurch beweisen die betroffenen Personen Selbstsicherheit, Selbstzuversicht und Stärke — all das ist für eine Heilung der seelischen Verletzung notwendig.


  1. https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/kode-suche/htmlamtl2019/block-f40-f48.htm ↩︎

  2. Durch diese Feststellung, die eine menschliche Urerkenntnis ist, wird natürlich das Leid als solches nicht als etwas Positives oder Erstrebenswertes angesehen. Ein vollkommendes Wesen leidet gemäß der rein philosophischer Erkenntnis nicht. ↩︎

  3. Levine, Peter A. 2016. Sprache ohne Worte, München, S. 57. ↩︎